Patristische Bezüge zu Moses
Die vorliegende Studie ist der dritte Band in der neuen Serie Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern, die sich dem patristischen Verständnis biblischer Gestalten widmet. Der erste Band zu
Abraham war 2005 erschienen (2. Aufl. 2009), der zweite Band zu Samuel im Jahr 2009. Dabei ist es das Ziel, ‘die Art und Weise, wie die groβ en Theologen der frühen Christenheit die Bibel
lasen, vorzustellen und so zu einer geistlichen Schriftauslegung in unserer Zeit Anregungen zu geben‘ (6). Den Lohn solcher Beschäftigung beschreibt das Vorwort wie folgt: Für die Kirchenväter ist die Bibel Quelle und Ziel jeder Freude, jeder Schönheit, aber auch jeder denkerischen Bemühung. Ihre Werke sprechen von der Faszination, die von der Bibel ausgeht und der man sich,
einmal davon gepackt, nicht mehr entziehen kann. Dadurch leiten sie auch ihre Leser an, die Bibel zu lesen, sie neu zu lesen, sie wieder und wieder zu lesen und in ihr die Begegnung mit Gott zu suchen. Die
Beschftigung mit ihrer Theologie zwingt uns, gerade weil sie uns in vielem fremd ist und unsere Plausibilitäten nicht teilt, unser Selbstverständnis und unsere Denkgewohnheiten zu hinterfragen und zu neuen
Fragen vorzustoβ en (6). Das Vorwort (11-16) umreiβt knapp die Bedeutung des Mose: Mose ist für die jüdische Religion so zentral, dass man von der ‚mosaischen Religion‘ sprechen kann, und seine Wichtigkeit für die christliche überlieferung zeigt sich darin, dass Mose im NT
am häufigsten von allen atl. Gestalten genannt wird (11). Ferner stellt Heither die vorhandenen Quellen vor. Zum Pentateuch gibt es nur wenige Kommentare bzw. Homiliensammlungen (etwa Cyrill von Alexandrien, Anbetung und Kult im Geist und in der Wahrheit,
Theodoret von Cyrus, Fragen zum Octateuch, Procopius von Gaza, Katenenkommentar, Augustinus, Sachliche und sprachliche Schwierigkeiten im Heptateuch). Besonders fruchtbar sind die
Homilien des Origenes zum Buch Exodus. Dazu kommen Werke wie Gregor von Nyssas Der Aufstieg des Mose (über den Aufstieg des Menschen zu Gott, Mose als Beispiel des vollendeten Menschen, der zum Freund
Gottes wurde), teils umfangreiche Bezüge auf Mose bei Johannes Chrysostomos (Mose als Leidender, der viel von seinem Volk dulden musste; in der Gestalt des Mose wird etwas vom Schicksal des Gottesknechtes
und damit auch vom Schicksal Jesu vorweggenommen), Eusebius oder Quodvultdeus. Insgesamt gilt: Die Theologen der Westkirche sehen Mose insgesamt in seiner vorausweisenden Bedeutung, während die östlichen Väter Mose mehr, wenn auch nicht nur, als herausragende Gestalt des AT betrachten. Dabei ist
Origenes eine Ausnahme, denn sein Bild von Mose umfasst beides (15). Kapitel eins gilt den Informationen über Mose in auβerbiblischen Quellen (17-28). Dabei entnahmen die Väter diesen Quellen nichts über die eigentlich theologische Bedeutung des Mose, sondern es ging
ihnen bei ihrer Auflistung um den Beweis der Geschichtlichkeit des Mose und um den Nachweis des hohen Alters der Mosezeit (12). Nach dem in der Antike gebräuchlichen und anerkannten Altersbeweis hat
die biblische Offenbarung aufgrund ihres hohen Alters Vorrang vor der heidnischen Weisheit und überlieferung. Die Väter wollten beweisen, dass der christliche Glaube nicht etwas ganz Neues ist, sondern
dass er im Judentum gründet und dass er damit die älteste Religion überhaupt ist. Dabei zeigt sich, dass und in welchem Ausmaβ die griechischen Väter die Werke der hellenistischen Kultur kannten und die
Heilige Schrift mit diesen Kenntnissen lasen. Dass die Argumentation der Väter damit an die ähnliche gelagerte frühjüdische Argumentation anknüpft (etwa Philo von Alexandrien) wird nicht hinreichend
deutlich. Die weitere Anordnung folgt zunächst der Chronologie des Lebens des Mose. Kapitel zwei stellt die Vorbereitung des Mose dar (29-62, Geburt, Leben in Midian, Berufung). Gerade die Dornbuschvision fand bei
den Vätern starkes Interesse. Sie zeigt die Flexibilität der geistlichen Deutung, die dem Schrifttext immer mehr als eine Aussage zutraut: So kann man einerseits sagen, dass Mose im Dornbusch Christus im Voraus erkennt, dessen menschliche Natur (der Dornbusch) ganz mit seiner göttlichen Natur (dem Feuer) verbunden ist, andererseits kann der
Dornbusch den Menschen bezeichnen, der in seiner Sündigkeit vom Feuer der göttlichen Liebe unberührt bleibt und sich nicht entzünden läβt (301). Das dritte und zentrale Kapitel gilt der patristischen Sicht der besonderen Stellung des Mose als Mittler zwischen Gott und dem Volk (63-180). Mose ist einerseits der Vermittler von Gottes Wort und Wirken
an das Volk, andererseits tritt er auch umgekehrt für das Volk bei Gott ein und erwirkt ihm Gnade und Hilfe von Gott. Dabei spielt die besondere Beziehung von Mose zu Gott und zu dem Volk eine besondere
Rolle. Weil das Volk sich Gott gegenüber oft verweigert, geschieht der Mittlerdienst auch in der Fürbitte, in der Mose auch sein eigenes Leben in die Waagschale wirft, um das Volk zu retten. Das Leiden
des Mose an der Treulosigkeit des Volkes sehen die Väter als Vorausbild des Leidens Christi. Kapitel vier untersucht die Väteraussagen zum einzigartigen Ende des Mose (180-94). Seinen Tod deuten die Väter: aufgrund der Verborgenheit seines Grabes fast als Nicht-Tod, nämlich als Vollendung und Hinübergang zu Gott in voller Lebensfrische, die einem Menschen geschenkt wird, der wirklich‚ Knecht
Gottes‘ geworden ist … Sinnbildlich macht der Tod des Mose auβerhalb des verheiβenen Landes deutlich, dass Mose, der das Gesetz repräsentiert, nicht die Kraft hat, zum endgültigen Ziel
zu führen, sondern auf einen Nachfolger angewiesen ist, der nicht sein leiblicher Sohn ist, sondern ganz neu von Gott erwählt wird (302). Das fünfte Kapitel, “Gröβe und Schwachheit“ (195-223), trägt die Titel des Mose zusammen, die bei den Vätern eine Rolle spielen (Mose als Freund Gottes, Mystagoge – der groβe Lehrer,
der den Auftrag hat, nachdem er selbst in die Geheimnisse Gottes eingeweiht wurde, dieses Wissen an andere weiterzugeben – und Hierophant, Priester, Prophet, Gott, Lehrer und Erzieher). Seine
besonderen Tugenden sind die Sanftmut und Weisheit. Die Väter hatten das Versagen des Mose nur am Rande im Blick: ‘An dieser Stelle muss man den Vätern vorwerfen, vor lauter Bemühung um eine
geistliche Bedeutung den Wortsinn von Texten zu übergehen‘ (303). In Kapitel sechs beschreibt Heither Mose in symbolischer Bedeutung (225-65). Mose steht für das Gesetz (Identität von Mose und Gesetz, Ziel des Gesetzes und typologisches Gesetz); er erscheint als
Vertreter des Volkes – ‘Das Leben des Mose ist wie eine Skizze der Geschichte Israels, so dass sein Schicksal ein vorausweisender Entwurf ist für die Geschichte dieses Volkes‘ (303) –
und als ein Typos Christi im Kampf mit dem Pharao, bei der Taufe im Schilfmeer, dem Zug durch die Wüste und als Gesetzgeber. In vielen Einzelzügen des Lebens Mose sehen die Väter Christus, den Erlöser und
Befreier im Voraus dargestellt: Mose weist auf Christus hin und Christus wird erkannt als der neue Mose (303). Ferner geht es um das Verhältnis zwischen Mose und Josua. Josua vollendet und interpretiert
die Werke des Mose. ‘Josua weist in allem, von seinem Namen angefangen, auf Jesus hin, gerade auch darin, dass er auf Mose und seine Sendung bezogen ist‘ (257). Kapitel sieben zeigt, wie die Väter Christus als den neuen Mose verstanden haben (267-99). Christus wird von Mose bezeugt und durch ihn gefunden. Christus steht im Gegensatz zu Mose und ist gröβer als
er. Christus ist von Mose verheißen und zugleich verherrlicht Christus den Mose. Für die Väter ist alles über Mose Gesagte auch für Christen bleibend wichtig, denn seine Sendung ist nicht auf Israel
beschränkt, sondern von universaler Bedeutung. Unter dem Titel “Keiner ist wie Mose“ (300-04) fasst Heither das patristische Porträt zusammen. Sie schlieβt: An Mose wird die Ambivalenz und Dynamik der biblischen Botschaft besonders deutlich. Einerseits ist das ihm zur Verkündigung aufgetragene Wort wirklich göttliches Wort, andererseits ist es noch
nicht das Wort Gottes, das in Jesus Christus Mensch wird, sondern nur Hinführung zu ihm. Die Dynamik der Schrift drängt nach Ansicht der Väter auf die volle Offenbarung und Epiphanie Christi
hin. Wenn man aber den Anfang dieser Offenbarung nicht akzeptiert, also Mose ablehnt, kommt man nicht zu ihrer Fülle, ja man wird irregeleitet in der Suche nach Gott. Wer zu Christus kommen will,
ohne Mose zu kennen, der stellt sich einen falschen Christus vor (304). Der Band schlieβt mit Bibliographie und Register von Bibelstellen und Texten der Kirchenväter. Er gibt einen hervorragenden Einblick in die patristische Exegese und Theologie; vgl. dazu M.
Fiedrowicz, Theologie der Kirchenväter: Grundlagen frühchristlicher Glaubensreflexion (Freiburg, Basel, Wien: Herder, 2007); vgl. meine Rezension in Verbum et Ecclesia 29, 2008,
868-71. Durch die übersetzungen und Einführungen werden die diskutierten Texte gut erschlossen. Der gründlich erarbeitete Band ist für eine theologisch orientierte Exegese der biblischen Mose-Texte
inspirierend (durchaus auch für die homiletische Bearbeitung des Pentateuch), enthält mehrere Perspektiven für eine gesamtbiblische Theologie und ist anregend für verschiedene Themen der
systematischen Theologie. Spannend wird der nun leicht mögliche Vergleich der Väterrezeption mit den vorausliegenden frühjüdischen und zeitgleichen rabbinischen Mosebildern. Dabei wird sich
zeigen, was die Väter an Argumentationsmustern und Einsichten aus dem Frühjudentum übernommen haben und wo sie eigene, neue Wege gegangen sind, die – auch in der Abgrenzung –
zum sog. parting of the ways zwischen Judentum und Kirche beigetragen haben. Freilich zeigt die Väterrezeption der Mosegestalt auch – und das deutlicher als das Mosebild der
historisch-kritischen Forschung – wo und wie Mose Juden und Christen trennt und zugleich zu verbinden vermag. Erarbeitet wurde der schöne Band in der Benediktinerinnen- Abtei Mariendonk am Niederrhein, zu der die Autorin gehört, und die sich schon mehrfach um die patristische Exegese verdient
gemacht hat (vgl. www.mariendonk.de). In diesem Zusammenhang ist auf zwei ähnlich gelagerte und ergänzende Projekte hinzuweisen. Zum Einen auf die neue Serie Novum Testamentum Patristicum, die die patristische Exegese
zu einzelnen ntl. Büchern zusammenfassen und auswerten will (hrsg. A. Merkt, T. Niklas; vgl. http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/Theologie/alte-kg/html/ntp.html). Bisher sind erschienen
M. Meiser, Galater, NTP 9 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007; vgl. meine Rez. in Neotestamentica 42.2, 2008, 394-397) und A. Merkt, 1 Petrus, NTP 21 (2008). Zum Anderen der Hinweis auf das neue, auf dreiβßig Bände konzipierte Nachschlagewerk zur Bibel und ihrer Wirkungsgeschichte Encyclopedia of the Bible and Its Reception,
herausgegeben von H.-J. Klauck, B. McGinn, P. Mendes-Flohr, C.-L. Seow, H. Spieckermann, B. D. Walfish und E. Ziolkowski (Berlin: W. de Gruyter, 2009ff.). Band 1, von Aaron-Aniconism,
enthält neben anderen biblischen Gestalten auch Aaron, Adam und Abraham; Abraham auch in Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern (1. Aufl. 2005, 2. Aufl. 2009). In den
Literaturangaben zum Artikel Abraham (J. Siker, “Abraham IV. Christianity”, 181-83) fehlt der Hinweis auf den Biblische Gestalten Band. Am Beispiel Aarons lässt sich das Vorgehende EBR zeigen. Die Untersuchung findet in 26 Spalten in neun Abschnitten statt: R. D. Nelson, “Aaron I. Hebrew Bible/Old Testament”
(1-7, wobei hier Wirkungsgeschichte im Frühjudentum bereits knapp mitdargestellt wird); “Aaron II. Judaism” wird in drei separaten Beiträgen behandelt: G. J. Brooke, “A. Second
Temple and Hellenistic Judaism” (7-9); G. Stemberger, “B. Rabbinic Judaism” (9-11) und S. Cherry, “C. Medieval and Later Judaism” (11-15); J. Leonhardt-Balzer, “Aaron
III. New Testament” (15-17); J. Frösén, Z. T. Fiema, “Aaron IV. Archaeological Evidence” (17-21); verhältnismäβig knapp A. Holder, “Aaron V. Christianity” (19-21; hier
erscheinen Hinweise auf die patristische Rezeption, leider ohne genaue Stellenangaben, in diesem Fall Origenes, Homilien zu Leviticus, Ambrosius, Cyrill von Jerusalem, Caesarius von Arles,
Beda Venerabilis, Clemens von Alexandrien, Gregor der Groβe, Gregor von Nyssa, Augustinus, Richard von St. Viktor); G. Nickel, “Aaron VI. Islam” (21-23); B. Britt, “Aaron VII.
Literature” (23f); O. Z. Soltes, “Aaron VIII. Visual Arts” (24f) und N. H. Petersen, “Aaron IX. Music” (25f). Daneben gibt es noch einen separaten Artikel zum Stab
Aarons (“Aaron’s Rod”, 28-35). Dieses Vorgehen erlaubt es, zu jedem Abschnitt Spezialisten heranzuziehen, zumal die Darstellung auf hohem Niveau der gesamten Wirkungsgeschichte kaum mehr von Einzelnen geleistet werden kann.
Als Folge obliegt aber die Gesamtsicht der groβen Linien bzw. die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser bunten Wirkungsgeschichte dem Leser. Zum Verständnis der Rezeptionsgeschichte heiβt es am
Ende des Vorworts: As a now well-established branch of biblical studies, Auslegungsgeschichte (history of exegesis) continues to contribute to the debate about the meaning of the biblical texts as they have
been expounded in the histories of Judaism and Christianity. In addition, there is increasing attention among scholars to the reception and adaptation of biblical themes, motifs, and characters in
music, art, literature, and film, as well as in Islam and various non-monotheistic religious traditions and new religious movements. Such studies have shown how biblical traditions have transcended
the realms of the church and synagogue and entered the cultural consciousness not only of Western societies but of other cultures as well (xi). |